Frankfurt braucht Wohnprojekte für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung

Anfrage A 694 vom 20.04.2020: Wohnprojekte für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung

In der Stadtverordnetenversammlung am 27.2.2020 habe ich nach Wohnprojekten in Frankfurt für Jugendliche und erwachsene Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen gefragt. Anlass war, dass eine Mutter mit einem autistischen Jungen sich an mich gewandt hatte. Wegen mehrfacher Nachfrage im Plenum hier der Wortlaut der Mail, die mir die Mutter geschickt hat:


Ich bin eine alleinerziehende Mutter und habe drei erwachsene Söhne, der jüngste lebt bei mir. Er ist 24 Jahre jung, Autist und Epileptiker. Er lebt in einer Welt, die uns nicht so bekannt ist und kann einige Sachen nicht so wie jeder andere in seinem Alter. Mir ist durchaus bewusst, dass er aufgrund seiner geistigen Einschränkung niemals alleine leben können wird. Denn er kann sich weder orientieren noch schreiben oder lesen. Ich würde meinen Sohn auch lieber selbstständig und gerne in einer Wohngemeinschaft oder ähnliches sehen. Nur leider ist er immer auf fremde Hilfe angewiesen und es würde nur mit einer 24 Stunden Betreuung funktionieren.

Unser Tag beginnt in der Regel um 5:30 Uhr morgens, meistens stehe ich vor meinem Sohn auf und bereite alles für den Arbeitstag vor. Je nachdem wie die Nacht war, ob ruhig oder unruhig, ob er verschwitzt ist oder er es vielleicht nicht rechtzeitig zur Toilette geschafft hat, das kommt mindestens 3 mal die Woche vor, muss ich ihn morgens duschen (wie viel Wäsche hierbei entsteht, brauch ich nicht zu erwähnen). Er muss jeden Morgen, bevor er das Haus verlässt, frühstücken, da er Medikamente zu sich nehmen muss. Nach dem Frühstück muss ich ihm beim Zähneputzen, Anziehen, Haare kämmen helfen, jeden zweiten Tag muss er rasiert werden. Mein Sohn hat einen Tremor und ist in seiner Feinmotorik eingeschränkt.

Er wird Montag bis Freitag um 8:20 abgeholt und geht dann in eine Tagesförderstätte des internationalen Bundes, dort wird er bis 15 Uhr betreut. Das bedeutet für mich, dass ich nur von 9:30 Uhr bis 14:30 Uhr arbeiten kann. Ich bin dadurch auch rentenbenachteiligt. Montags hat er um 16:45 Ergotherapie und donnerstags um 17 Uhr Krankengymnastik. Die meisten Menschen mit Behinderung definieren sich über das Essen (Wahrnehmungsstörung, kein Sättigungsgefühl).

Ich muss, obwohl er immer Mittagessen bekommt, noch zusätzlich kochen, da er wie ausgehungert nach Hause kommt. Er hat nur sporadischen Kontakt zu seinem Vater, dieser ist an regelmäßigem Kontakt zu seinem Sohn nicht interessiert und auch nicht in die Belange seines Kindes involviert. Ich habe die gesetzliche Betreuung für meinen Sohn, er ist rechts- aber nicht geschäftsfähig.

Abends versuche ich, mit ihm zu kommunizieren oder Spiele zu spielen, es klappt nicht immer, weil er meistens nicht länger als 10 Minuten bei einer Sache bleiben kann. Ihm wird schnell langweilig und er schweift schnell in seine Welt ab.

Er ist viel mit seinen Zwängen beschäftigt. Er sammelt leidenschaftlich gerne verschiedene Dinge z.B.: Spiele für seine PlayStation, Handys und DVD’s. Es ist ein sehr kostspieliges Hobby, und er hat überhaupt keinen Bezug zu Geld. Er versteht nicht, dass man für Geld arbeiten gehen muss. So kommt es manchmal vor, dass er Tage lang bockig ist und man mit ihm nicht richtig arbeiten kann. Arbeiten im Sinne von, dass die täglichen Rituale nicht reibungslos funktionieren, oftmals kommen wir dann zu spät oder er steigert sich so in seinen Frust, dass er krank wird oder gar krampft.

Ich versuche natürlich mit viel Ruhe und Liebe dem entgegenzuwirken, aber auch mir fehlt es an manchen Tagen an Kraft. Unser abendliches „Bettfertigmachritual“ dauert in der Regel 2 Stunden, mit Abendbrot, duschen, rasieren, Zähneputzen und Pyjama anziehen. Es ist mehr als ein Vollzeitjob, ich bin Mutter, Freundin, Prellbock, Frustabladestation, Pflegekraft, Putzfrau, Köchin, Sachbearbeiterin in allen formellen Angelegenheiten und Fahrdienst zugleich und gehe noch einer Teilzeitarbeit nach. Ich fordere, dass die Politik sich hier mehr einsetzt!

Wir wissen nicht, wie viele FrankfurterInnen in einer ähnlichen Situation sind. Man kann davon ausgehen, dass die wenigsten Angehörigen neben ihrem aufreibenden Alltag noch die Kraft finden, sich hilfesuchend an öffentliche Stellen zu wenden. Wohnprojekte für autistische Menschen, wie es sie in vielen Städten gibt, sind nicht für alle, aber doch für einige Menschen mit dieser Einschränkung eine gute Lösung, da sie an ihre speziellen Bedürfnisse angepasst sind und ein großes Maß an Selbstbestimmung und sozialraumorientierter Teilhabe ermöglichen.

Sozialdezernentin Birkenfeld hat in der Stadtverordnetenversammlung am 27.02.20 geantwortet, dass solche Projekte mit dem Landeswohlfahrtsverband abgestimmt werden müssen.

Dies vorausgeschickt, frage ich den Magistrat:

Wann wird der Magistrat mit dem Landeswohlfahrtsverband die Planungen für Wohngruppen für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen aufnehmen?

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Antragsteller: Stadtv. Luigi Brillante