Antrag NR 1194 vom 18.05.2020: Mehr Mut in der Frankfurter Verkehrspolitik
Die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, dass viele Städte auf der ganzen Welt über neue Verkehrsstrategien nachdenken. Um den Mindestabstand zu gewährleisten, werden Autospuren zu Fahrradspuren und die Fußwege werden verbreitert. Wien hat Wohnstraßen in Begegnungs-zonen umgewandelt. In New York, Vancouver, Mexico City und Budapest wurden autofreie Nebenstraßen eingerichtet, um den Fuß- und Radverkehr zu erleichtern.
In Brüssel startete der Bürgermeister eine „Velorution“: Die gesamte Innenstadt wurde als Vorrangzone für Radfahrer und Fußgänger ausgewiesen. Seit Montag, dem 11. Mai, dürfen die umweltfreundlichen Verkehrsteilnehmer überall fahren bzw. gehen, auch auf der Straße. Die Ampeln werden auf gelbes Blinklicht geschaltet. Für Autos gilt ein Tempolimit von 20 km/h. Das Modellprojekt soll nach drei Monaten evaluiert werden. Die „Welt“ schreibt dazu: „Fußgänger oder Radler können (…) die Straßen so selbstverständlich benutzen wie in Vor-Corona-Zeiten nur die Autofahrer.“ Das ist tatsächlich eine Revolution.
Unabhängig von der akuten Lage sind sich Stadtplaner seit langem einig, dass der Raum in der Stadt neu verteilt werden muss. So hat z.B. die neue Nürnberger Stadtregierung aus CSU und SPD beschlossen, dass die Stadtplanung sich zukünftig generell an einer „autoarmen Quartiersplanung“ orientieren muss.
Im gerade veröffentlichten Umweltgutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen heißt es:
„Attraktive Städte sind vor allem solche, in denen die Menschen gerne zu Fuß gehen und Rad fahren (…). Wenn private Pkw den Stadtverkehr weniger dominieren und weniger Parkraum beanspruchen, sind auch kompakte Siedlungsstrukturen mit einer hohen Grünraumversorgung vereinbar. Ziel ist ein Wandel des Alltagsverkehrs, der die Mobilität Einzelner auf nachhaltige Weise sicherstellt. Er soll den Belangen von Umwelt- und Klimaschutz gerecht werden, Alternativen zum Auto bieten, sicher und barrierefrei sein und grundsätzlich allen Menschen unabhängig vom Alter und sozialen Status zugutekommen. Eine solche städtische Mobilitätswende, verstanden als nachhaltige Veränderung des Mobilitätsverhaltens, leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Verkehrswende insgesamt.
Der Stadtverkehr wird aber seit Jahrzehnten vom Auto dominiert. Die Folgen sind Lärm, Luftverschmutzung, ein wachsender Flächen- und Energieverbrauch, aber auch hohe Gesundheits- und Umweltkosten. Gerade in den Städten kann die Alltagsmobilität so transformiert werden, dass die Lebensqualität der Menschen im Mittelpunkt steht. Kurze Wege, gut ausgebaute Rad- und Fußwegestrecken, kurz getaktete Bahnen und Elektrobusse ermöglichen eine neue Art von Verkehr, der umweltschonend, zügig, gesund und stressarm ist. (…) Das Rückgrat für die Alltagsmobilität der Zukunft bildet der ÖPNV. Er ist ein Baustein der Daseinsvorsorge.“ ( https://www.umweltrat.de/DE/Home/home_node.html )
Frankfurt tut sich seit Jahrzehnten schwer damit, umweltfreundliche Mobilität zu forcieren, obwohl die Grünen hier seit langem an der Stadtregierung beteiligt sind. So schreibt Claus-Jürgen Göpfert in seinem Buch „Die Hoffnung war mal grün“:
„Es gelingt (. .) nicht, dem wachsenden Individualverkehr politisch tatsächlich etwas entgegen-zusetzen. So scheitern die Grünen noch im Jahre 2016 mit dem halbherzigen Versuch, zumindest die Fahrspuren auf der zentralen Berliner Straße zu verringern, am hinhaltenden Widerstand von CDU und Sozialdemokraten. Das Argument sind auch hier wieder wirtschaftliche Interessen.“
Frankfurt muss endlich mutig die Verkehrswende vorantreiben. Bisher muss man leider von einer Blockadepolitik sprechen. So hat die Koalition unseren Etatantrag E 235/2020, in dem wir vorschlugen, bei allen geplanten und zukünftigen Wohnungsbauprojekten in Frankfurt die Realisierung als autoarmes Baugebiet zu prüfen, abgelehnt. Die meisten Anträge von Fraktionen und Ortsbeiräten auf Verbesserung des ÖPNV, z.B. durch Erhöhung der Taktung in Stadtteilen und Siedlungen, in denen der Busverkehr nur halbstündlich oder geringer erfolgt, wurden abgelehnt. Nach wie vor werden in Frankfurt unbehelligt Gehwege zugeparkt. Forderungen nach ungefährdeter Nutzung der Gehwege durch Fußgänger, Rolli- und Rollator-Nutzer, Kinderwagenschieber etc. begegnet der Magistrat wie folgt:
„In einzelnen Bereichen liegt jedoch ein so hoher Parkdruck durch die Anwohnerinnen und Anwohner vor, dass die Interessen der zu Fuß Gehenden nicht mit letzter Konsequenz durchgesetzt werden können. Sofern freie Gehwege in allen Stadtteilen eingefordert werden, müssen die Konsequenzen bedacht werden. Gerade in schmalen Straßen vieler Wohngebiete, wo ein- oder beidseitig der Gehweg (ohne dass dieser dafür freigegeben wäre) zum Parken mitgenutzt wird, würden bei Umsetzung teilweise mehrere hundert Parkstände wegfallen. Die Städtische Verkehrspolizei hat bei Verkehrsordnungswidrigkeiten ein obligatorisches pflichtgemäßes Ermessen auszuüben.“ (B 99 vom 22.03.2019)
Diese Aussagen sind Ohrfeigen für jeden umweltfreundlichen Verkehrsteilnehmer. Tatsächlich kontrolliert die Städtische Verkehrspolizei in den Stadtteilen überhaupt nicht, inzwischen ist es dort gang und gäbe, Garagen und Stellplätze zweckzuentfremden. Auf die Einhaltung der Garagenordnung zu achten, fällt der Bauaufsicht auch nach Hinweisen von Bürgern nicht ein.
Man könnte noch viele weitere Beispiele für den mangelnden Willen der Stadt anführen, die Verkehrswende voranzutreiben. Wir hoffen, dass jetzt die Zeit für ein Umdenken gekommen ist.
Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:
Der Magistrat legt ein umfassendes Konzept für ein autoarmes Frankfurt vor.
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Antragsteller: Stadtv. Luigi Brillante